älteste Rebe

Die älteste Weisswein-Rebe der Schweiz steht im Dorf Steg

Wohl in manchem Walliser Dorf finden wir alte Häuser, deren Fassaden noch heute mit Pergola verziert sind. Und wohl in manchem Dorf erzählen sich die älteren Bewohner Anekdoten und Geschichten über die Besitzer, die in den alten Häusern gewohnt haben. Vielleicht aber haben sie vergessen, wer die Pergola angepflanzt hat oder seit wann die Reben kultiviert wurden. Dabei sind die Schlingpflanzen über viele Jahre gewachsen und haben so die Geschichte des Dorfes in sich aufgenommen. So trinken wir heute mit deren Wein auch ein Stück Walliser Geschichte.

Eine solche alte Rebe steht im Dorf Steg, das seit 2009 zur Gemeinde Steg-Hohtenn gehört. In der "Berggasse", die hinter dem Restaurant "Mineur" beginnt, treffen wir nach wenigen Metern auf die grosse Pflanze, die sich am "Borri-Haus" über die Laube hinaus entwickelt hat. Am Haus von Ida Rotzer im Dorf Gampel jenseits der Lonza hat sich ebenfalls eine prächtige Pergola entwickelt und spendet an manchem Sommertag kühlen Schatten.

Als die Forscher in Leuk auf die älteste Rotwein-Rebe der Schweiz gestossen waren, fragte sich auch Willy Zengaffinen in Steg, wie alt wohl die beiden Reben in Steg und Gampel genau sein mögen. Im Auftrag der Gemeinde durfte er seine Vermutungen durch Spezialisten erforschen lassen. Dabei wurde sowohl das Alter als auch die Sorte der Reben bestimmt.

Gemäss den Angaben vom 21. Juni 2006 durch Fr. Dr. sc. nat. ETH Andrea Frei von der Eidg. Forschungsanstalt Obst-, Wein- und Gartenbau an Willy Zengaffinen handelt es sich in Steg um die alte weisse Walliser Sorte "Humagne Blanc". Dieselbe Sorte hat Dr. José Vouillamoz in Sitten am 27.September 2009 mit einem Genanalysen-Bericht auch für die Rebe in Gampel bestätigt.

Für die Altersbestimmung der beiden Reben konnte Hr. Prof. Dr. F.H. Schweingruber in Birmensdorf gewonnen werden. Gemäss seinen Untersuchungen vom 09. April 2006 wurde die Rebe in Steg am Borri-Haus um 1750, die Rebe am Haus von Ida Rotzer in Gampel um 1850 gepflanzt. Das berechnete Alter einer Probe des abgestorbenen Teils des Stammes in Steg lag im Jahr 2006 sogar bei 263 Jahren!

Durch ihr Alter steht die Rebe in Steg heute sogar im Register als Pflanze "von nationaler Bedeutung".

Die Ergebnisse der Recherchen könne wir heute im umfangreichen Buch: "Baumriesen der Schweiz" von Michel Brunner (Werd Verlag, 2009 ISBN3-85932-629-5) nachlesen.

Bacchus Weinlaube wächst im Wallis

Die Vereinigung "Vitis Antiqua" wurde gegründet, um die älteste bekannt Rebe der Schweiz zu erhalten. Diese 0.90 m messende Rebe wächst in Leuk-Stadt aus einem Steintrog am "Allet-Haus" und wurde 1798 gepflanzt. "Vitis Antiqua" hat die Rebe von der Sorte "Cornalin" frühzeitig vermehrt, weshalb erstmals 2004 ein hervorragender, tief roter Wein aus den Nachkommen dieser alten Rebsorte gekeltert werden konnte. Zur Enttäuschung der Winzer in Leuk-Stadt ergab 2006 eine dendrochronologische Untersuchung, dass in Gampel und Steg jeweils eine noch ältere Rebe wächst. Die älteste "rote" Weinrebe der Schweiz bleibt jene in Leuk aber weiterhin.

Die Rebe in Gampel umfasst eine riesige Pergola, die im Herbst mit weissen Trauben besonders schmuck aussieht. Die Besitzerin Ida Rotzer gewinnt davon noch immer einige Flaschen des lieblich schmeckenden Weines. Dendrochronologische Untersuchungen datieren die 0.90 m starke Rebe auf eine Pflanzzeit um 1850.

Noch älter und mächtiger, 265-jährig, ist eine Rebe in Steg. Es handelt sich dabei um die alte Walliser Weissweinsorte "Humangne Blanc". Ihre armstarken Äste ranken bis in die Höhe des ersten Stockwerkes des "Borri-Hauses", von wo sie sich wie eine Girlande am Balkongeländer entlang hangelt. Romeo hätte hier leichtes Spiel, seine Julia zu erreichen. Leider wurde der eine Teil des Strunkes der immerhin noch 1.00 m stämmigen Rebe durch ein Fuhrwerk weggerissen, was die Rebe schwächte. Der verletzte Stamm wurde daraufhin mit einem empfohlenen Baumharz bestrichen, und der restliche Stammteil wurde zum Schutz vor weiteren Beschädigungen eingemauert. Zäh wie das Gewächs der Rebe ist, wird sich die alte Rebe in Steg bestimmt erholen und noch viele Generationen erleben. (Michel Brunner)

Es wäre spannend, jedem Jahrring der Rebe ein geschichtliches Ereignis zuweisen zu können. Mit der Chronik der Gemeinde Steg-Hohtenn, ursprünglich "Freigericht Benken", und anderen Geschichtsbüchern kann man sich nur einen Bruchteil des interessanten Lebens der Rebe vorstellen:

 

1799 Pfynschlacht, Besetzung des Wallis durch die napoleonischen Truppen
1813     Besetzung durch Oesterreich
1815 Anschluss an die Eidgenossenschaft (Wiener Kongress)
1864 Gründung der Genfer Konvention (Rotes Kreuz)
1898 Geburtstag der Musikgesellschaft Benken
1913 Eröffnung des Lötschbergtunnels
1914 Bau der Kirche in Steg


usw.

Mit den erfreulichen Ergebnissen bezüglich Alter und Sorte der umfassenden Nachforschungen erhält dieses Kleinod im Oberdorf in Steg für die ganze Region eine neue Bedeutung. Nach Rücksprache mit der Besitzerfamilie übernimmt die Gemeinde in Steg in Zukunft die Pflege der wertvollen Pflanze. Die Rebe ist heute mit einer Bruchsteinmauer umgeben und eine Gedenktafel weist den Besucher auf die Bedeutung des Standortes hin.

Einige Setzlinge aus der alten Rebe in Steg fanden ihren neuen Platz in einem neuen Weinberg am Ort genannt "Blattjini". Mit besonderer Hingabe pflegt heute Adolf Brenner, wie man früher gesagt hätte, als "Mächteraal" diesen "Tranner" Reben.

Sind wir gespannt, wie sich die "Sprösslinge" nach 263 Jahren entwickeln werden und wünschen wir auch ihnen ein langes Leben, zumal ja eine Rebe auch ein Element des Wappens des "Freigerichts Benken" darstellt.

Martig Leo, Dezember 2009